Geschichte der Wolgadeutschen
Приложение к статье: Мейер (Майер) Эмиль Адольфович

Das Schaffen der Lebenden.

Prof. Emil Meyer.

Seine herzliche Freundschaft hat Emil Meyer dem Wolgadeutschtum in dessen schwersten Prüfungsjahren rückhaltlos gegeben.

Am 15. Mai 1923 konnte er aus eine 30jährige wissenschaftliche Tätigkeit in Rußland zurückblicken. Er gehört somit zu den wenigen reichsdeutschen Gelehrten, die den Weltkrieg in Rußland erlebt haben, und auch zur ältesten und würdigen reichdeutschen Gelehrtengeneration in Rußland. Seiner manchmal allzu großen Bescheidenheit und dem heutigen schweren Leben entsprechend, hat er aus seinem schönen Jubiläum keinerlei Aufhebens gemacht. In den durch die Bedrücknisse der Zeit verarmten zum Teil auch hintangesetzt und in ihrer Arbeit behindert gewesenen naturwissenschaftlichen Kreisen Rußlands aber hat man aus Anlaß des Jubiläums Emil Meyer erneut als Leuchte gewürdigt. Gilt sein Lebenswerk auch dem Heranbilden junger Naturwissenschaftler und der naturwissenschaftlichen Erforschung Rußlands, so läßt er doch auch die gegenseitige Förderung und Ergänzung des deutschen und russischen Fachwissens nicht unbeachtet. Im Gegenteil. Er verfaßte sowohl in deutscher als auch in russischer Sprache viele Schriften über Gartenbau und Naturwissenschaft, die in Deutschland und Rußland veröffentlicht wurden. Er ist Mitglied der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft und genießt als langjähriger treuer Moskauer Mitarbeiter der Gesellschaft hohes Ansehen und die besondere Zuneigung des Vorsitzenden der Gesellschaft, des hoch verdienstvollen Grafen Dr. Fritz v. Schwerin. Auch hat er sich durch die Einführung russischer Obstsorten und ostasiatischer Gehölze in Deutschland (Rheinprovinz) und in Nordamerika höchst verdient gemacht. Durch den Krieg und die spätere Blockade Rußlands jahrelang von seinen wissenschaftlichen Freunden in Deutschland abgeschlossen, hat er sofort diese Beziehungen wieder aufgenommen, sobald sich ihm die Möglichkeit hierzu bot. Das Hilfswerk der Wolgadeutschen, dessen Freund und Moskauer Vertreter Emil Meyer ist, freut sich der Wiederaufnahme solch wertvoller Beziehungen gedient zu haben und Meyer in seiner auch für das Wolgadeutschtum äußerst wichtigen wissenschaftlichen Arbeit unterstützen zu dürfen. Der Dienst in Einzelfällen kommt der Allgemeinheit zugute.

Emil Meyer wurde am 15. September 1870 in Hameln in der Provinz Hannover geboren. Nach gründlicher wissenschaftlicher Hochschulbildung und praktischer Arbeit in seiner Vaterstadt, in Proskau (Oberschlesien), Karlsruhe und Hamburg unter Leitung erster Fachleute und Gelehrter, ging er 1893 nach Rußland, wo ihm die Leitung des Botanischen Gartens an der Kaiserlichen Universität in Moskau übertragen wurde. 1902 wurde er zum Dozenten für Gartenbau und zum Leiter der Gartenbauabteilung an der Landwirtschaftlichen Akademie zu Petrowsk-Rasumowsk bei Moskau gewählt, der ersten Hochschule für Land- und Forstwirtschaft Rußlands. Im Aufträge der Akademie machte er Studienreisen nicht nur durch das europäische und asiatische Rußland, sondern auch durch Deutschland, Frankreich, Holland und England. Nach Ausbruch der Revolution nahm er 1918 auf ein Jahr krankheitshalber Urlaub und ließ sich mit seiner Familie, bestehend aus Frau und vier Töchtern, in Beideck auf der Bergseite der Wolga nieder. Als Fachmann jedoch bald von der Behörde des Gebiets der Wolgadeutschen zur wissenschaftlichen Arbeit mobilisiert, betätigte er sich in der Gebietsabteilung des wolgadeutschen Vollzugskomitees für Landwirtschaft und in der Gebietsabteilung für Volksbildung. U. a. erstreckte ferne segensreiche Tätigkeit sich auf die Erforschung der Flora und Fauna unserer Kolonien an der Wolga, und auf Lehrkursen im Gebiet hielt er Vorlesungen über Gartenbau und Naturwissenschaft. Damals auch hat der Schreiber dieser Zeilen, der zu jener Zeit Leiter der Volksbildungsabteilung des Balzerer Bezirksvollzugskomitees war, Emil Meyer als Gelehrten und Menschen kennen und schätzen gelernt. Mit Freuden entsinne ich mich des Forschereifers, der Emil Meyer, den damals schon Grauhäuptigen, in unsere bis dahin wissenschaftlich unerforschten Steppen trieb, wie er wie ein fahrender Gelehrter mit Pferd und Wagen in die Steppe zog, dort sein Zelt aufschlug und, mit sich und der Natur allein, die Pflanzenwelt jenes damals schon der Hungersnot entgegensteuernden Landstriches erforschte. Jene Arbeit ist seiner unlängst in Pokrowsk a. d. W. erschienenen Schrift „Bäume und Sträucher unserer deutschen Wolgakolonien“ zugrundegelegt. Hier finden wir zum erstenmal eine systematische, naturwissenschaftlich vorzügliche Übersicht über die Pflanzenwelt unserer Steppen. Die Schrift ist für unsere Kolonien von unermeßlichem Wert. Mitten in jener Arbeit erreichte ihn als Vater ein furchtbares Unglück. Seine Tochter Margarete, die sich erst vor einem Jahr verheiratet hatte, wurde in Dönhoff mit ihrem kleinen Töchterchen auf äußerst rohe Weise ermordet. Der Todestag Margaretes, einer von allen hochverehrten jungen Frau, der 14. Januar 1921, läßt ihn an die Wolga nicht ohne tiefen Schmerz zurückdenken. Trotzdem spricht er von den Wolgakolonien nie anders als von „unseren“ Kolonien. Er zählt sich zu den Wolgadeutschen und wir dürfen ihn dankbar in unsrer Mitte ehren. Ende 1921 kehrte Emil Meyer nach Moskau zurück mit dem Auftrage, an dem damals begründeten Deutschen Pädagogischen Institut den naturwissenschaftlichen Unterricht zu erteilen. Er wurde jedoch bald als Hauptfachverständiger an das Volkskommissariat (Ministerium) für Landwirtschaft berufen, wo er noch heute tätig ist. 1922 wurde er als Vertreter seines Kommissariats ins Ausland beordert, um Sämereien, in der Hauptsache für die Hungergebiete, anzukaufen bzw. in Empfang zu nehmen. Schon lange vor dem Krieg hat er sich im russischen Forstwesen verdient gemacht und ist durch seine Ernennung zum lebenslänglichen korrespondierenden Mitglied der Russischen Forstgesellschaft geehrt worden. 1910 bis 1914 war er Vizepräsident der Kaiserlich Moskauer Gartenbaugesellschaft.

Die letzten neun Kriegs und Revolutionsjahre haben manchem neue Volksstämme und Gegenden lieb und wert gemacht. So ist Emil Meyer mit unseren Kolonien aufs engste verbunden. Die Energie dieses Mannes scheint, trotz der übermenschlichen Prüfungen, unerschöpflich zu sein. Aus seinem Blick spricht Forscherwille, Offenheit, Müde, Ernst, Energie und Bescheidenheit (er liebt keine offiziellen Anreden und Titel, obwohl er sie reichlich verdient bat und besitzt; u. a. steht er im Range eines Professors, will aber nicht so angeredet sein). Als Schriftleitung sind wir unserem geschätzten Mitarbeiter für seine wertvollen Beiträge zu besonderem Dank verpflichtet. Möge ihn ein gutes Geschick noch lange arbeitskräftig erhalten!

G. S. L.


Der Wolgadeutsche, Berlin, 1923, Nr. 14, 1. Beilage, S. 3.