In dem großen Leib der Nachkriegszeit hat ein Mann seine Augen geschlossen, dessen Leben und Wirken seinem Volke gegolten, der aus dem Volke hervorgegangen ist, in ihm die Wurzeln seiner unverwüstlichen Schaffensfreude und seiner Stärke hatte. Pastor J.S. Kufeld wird immerdar in gesegnetem Gedenken seiner Pfarrkinder bleiben. Er war einer der ersten Pastoren, die aus der Mitte der Wolgakolonien stammten und die hoch letzten Endes immer fremd dem Wolgakolonisten gegenüberstehenden auswärtigen Pastoren ablöste. Er entstammte einer Schulmeisterfamilie aus der guten alten Zeit. Sein Vater war fast ein halbes Jahrhundert lang Schulmeister der Wolgakolonie Schwed. Hier wurde er am 8.7.1868 geboren. Mit 12 Jahren kam er nach Saratow auf die Realschule, wo er bis zur 5. Klasse blieb, um sie gegen das Gymnasium in Kasan zu vertauschen, weil er schon damals den Wunsch hegte, einmal Pastor in den heimatlichen Gebieten zu werden. Seinem zähen Willen, seinem eifernen Fleiß verdankte er die silberne Medaille beim Abgang vom Gymnasium. Nun begann für ihn das Studium der Theologie in Dorpat. Wer selber nach Dorpat ohne einen Groschen sicherer Unterstützung gekommen ist, der weiß was diese Jahre des Lernens und Darbens auf sich haben. Auch hier ist es Pastor Kufeld gelungen, in die vorderste Reihe zu dringen und für eine Preisschrift die goldne Medaille zu bekommen. Sein Probejahr hielt er bei Pastor Stahff in Grimm, dann war er drei Jahre Propstadjunkt in Saratow. So hat er gleich die Arbeit in Stadt und Land kennen gelernt und ist tüchtig in die Sielen gekommen. Aber auch an ihm hat sich das Wort aus dem Klagelied Jeremias erfüllt: „Es ist dem Manne gut, das er das Joch in seiner Jugend trage“. Er kannte seine Kolonisten durch und durch. Er mußte, wo er sie packen konnte. Kein geheimer Winkel ihrer Seelen war ihm fremd. So waren es 11 Jahre tiefen Grabens in den Schätzen der Volksseele, die ihn in Reinhardt festhielten. Mitten in der Steppe, in den Mühen und Sorgen des Alltages hat Pastor Kufeld ein offenes Auge und Herz für sein Volk gezeigt. Und als er dann ein größeres Feld für seine Tätigkeit suchend, zuerst in dem schwierigen Radomysl mit seinen vielen, vielen Kolonien und seinen beschwerlichen Reisen wirkte und dann einem Ruf nach Nikolajew Folge leistete, rief ihn seine erste Gemeinde wiederholt zurück. Er hatte nun ein weites Gebiet zur Betätigung seiner Kraft und Begabung gefunden, und diese letzten acht Jahre seines Wirkens und Lebens galten den mannigfaltigen Anforderungen der Nikolajewer Stadtgemeinde und den vielen Kolonien, die zu der Nikolajewer Kirche gehörten. Ein „Mann aus dem Volke“ im besten Sinn des Wortes ist er immer geblieben, wie sein Herz auch immer bis zuletzt an seinen Wolgakolonisten hing. Mit emsigem Fleiß suchte er Bausteine zur Geschichte der Kolonien in Rußland zusammen. Mit wehem Herzen hat er um die Hebung seines Volksstammes in fremdem Lande gerungen. Ein Muster in der Handhabung des Hobels, hat er nicht aufgehört an seinen Kolonisten zu hobeln und zu polieren. Weil er seine Kolonisten so gut kannte, so hat er oft ein herbes Urteil über ihre Art gefällt. Aber das wissen wir alle: Wer sein Kind mit echter Liebe umfängt, der hört nicht auf, an ihm zu tadeln und zu meistern bis es ganz gut und edel nach dem väterlichen Herzen wird. Und es schmerzt den eigenen Vater immer mehr als andere, wenn die Kinder nicht wie die Alten wollen. Das war immer unser aller tiefes Weh, weil es unser eigen Fleisch und Blut war, an dem wir ach so oft vergeblich gearbeitet und uns gemüht haben. So steht er noch heute vor unserm Auge wie wir ihn gekannt haben: ein echter Kolonist, in welchem kein Falsch ist. Kein Redner, der durch tönendes Wortgeklingel seine Zuhörer blendete, aber ein Prediger, der eifache und kräftige Kost seiner Gemeinde bot, wenn auch manchem, bei dem nicht alles war, wie es sein sollte, diese Kost wie ein Stein im Magen lag. So war er auch im Gespräch und Verkehr mit jedermann: offen, ehrlich; manchmal saß ihm auch der Schalk in den Augen, aber jeder ging von ihm mit dem Gefühl fort: du bist an den richtigen Mann gekommen. Im Kreise seiner Amtsbrüder war er stets geschätzt wegen seiner gediegenen Kenntnisse, seiner großen Gewissenhaftigkeit und nicht zuletzt um seines trockenen Humors willen, mit dem er immer das Leben und Treiben seines Volkes beobachtete. Sein Haus war wie jedes echte Pastorat eine Stätte der Gastfreundschaft nicht nur in Reinhardt sondern besonders während der schweren Zeit des Krieges in Nikolajew. Ein Gemeindeglied widmet ihm folgenden Nachruf:
„Pastor Kufeld wurde nach Nikolajew als Nachfolger von Pastor Meyer berufen. Dank den ausgezeichneten Eigenschaften seines Charakters (Arbeitsamkeit, Hilfsbereitschaft, Duldsamkeit, wahre Frömmigkeit, biederes Gemüt) in Verbindung mit einer guten Rednergabe machte er sich als Seelsorger und Mensch in kurzer Zeit in der ganzen Gemeinde beliebt. Da Pastor Kufeld nicht nur die Stadtgemeinde Nikolajew und Cherson, sondern auch viele Landgemeinden zu bedienen hatte, so wurde an seine Leistungsfähigkeit fortwährend große Ansprüche gestellt, denen er jedoch immer zur allgemeinen Zufriedenheit nachzukommen wußte. Um erwerbsunfähige Frauen zu unterstützen gründete er einen Frauenverein. Er setzte es durch, daß an den mittleren Lehranstalten Religionsunterricht eingerichtet wurde. Es konnte nicht ausbleiben, daß bei der äußerst anstrengenden Tätigkeit, die Pastor Kufeld in seinem Amt entwickelte, seine Gesundheit untergraben wurde. Dazu die schwere und aufregende Zeit des Krieges und der Wirren mit ihren Seelenqualen und dem Ruin aller Güter äußerer und geistiger Art. Auch Pastor Kufeld mußte die Schrecknisse des Gefängnisses durchkosten. Unaufhörliche Sorgen und Aufregungen im eigenen Leben und im Leben der Gemeinden, deren einzelne ganz aufgerieben sind, brachen ihm schließlich das Herz. Am Sonntag, den 17. November 1919 wurde Pastor Kufeld, im Begriff zum Gottesdienst zu gehen und mit dem Talar angetan, vom Schlaganfall betroffen, und ging nach wenigen Stunden bei vollem Bewußtsein und nach einem herzzerreißenden Abschied von den Seinen in die Ewigkeit, beweint um seines frühzeitigen Scheidens von seinen Angehörigen, Gemeinden und vielen Freunden.“
Er ruht von seiner Arbeit, aber seine Werke folgen ihm nach. Und im Glauben und Hoffen wollen wir auch von ihm sagen:
„Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben!“
K. Kramer, Pastor zu Altenbergen b. Gotha
(früher zu Paulskoj b. Katharinenstadt)
Wolgadeutsche Monatshefte, Nr. 4, 1.10.1922, S. 82.