Geschichte der Wolgadeutschen
Приложение к статье: Кромм Иоганн Георг

Das Leben eines Schulmeisters

(Zum Tode des Schulmeisters Johann Georg Kromm
zu Jagodnaja Poljana am 11. Dezember 1922.)

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Das Leben der Verstorbenen zeigt ein bewegtes Bild von Auf und Ab, von Nöten und Freuden, wie sie einem tüchtigen deutschen Schulmeister an der Wolga nur wiederfahren können. Kromm war am 6 November 1844 in Jagodnaja Poljana bei Saratow als Sohn eines Baumwollwebers geboren. Sein Vater dachte wohl, dass sein Erstgeborener das gleiche Handwerk betreiben werde wie er, deshalb hielt er ihn von früher Jugend, kaum, dass die Beine lang genug waren, dazu an, das Spulrad fleißig zu schwingen. Mit 7 Jahren in die Kirchenschule aufgenommen, erwies Johann Georg Kromm sich als äußerst befähigter und fleißiger Schüller. Klein von Wuchs und recht bescheidenen Wesens, nahm er sich unter seinen älteren Schulbankgenossen wie ein Kind unter Jünglingen aus, überflügelte sie jedoch sehr bald um vieles. Als er sein erstes Lesebuch das Neue Testament fast auswendig kannte, erweiterte er seine Kenntnisse, wie damals in den Kolonien allgemein üblich, mit Hilfe des Gesangbuches und der Bibel. Daheim war ihm das Abhalten von Versammlungen zusammen mit seinen Geschwistern, wobei er den Schulmeister darstellte, viel lieber als das langweilige Spulen. Mag ihm oft sauer geworden sein, die Weberei, doch der Vater blieb unerbittlich.

„Ich habe so mehr Schläge bekommen, als alle meine Geschwister zusammen“, berichtete Johann Georg in Erinnerung an jenen Kampf des entstehenden Schulmeisters mit seinem gestrengen Herrn Vater.

Im Jünglingsalter sah Johann Georg in dem Pastor des Kirchspiels Hegele, einem indischen Missionar und beliebten Kanzelredner, sein Ideal. Der kleine Kromm wäre gern auch Missionar geworden, wie sein Vorbild und Gönner Hegele, doch, der Webstuhl… Da kam für Johann Georg das Glück im Unglück, die Baumwolle wurde über Nacht so teuer, das die armen Handwerker um ihren Verdienst kamen. Der alte Kromm konnte nur noch seinen Kleinhandel weiterführen. Einige Zeit lernte Johann Georg nun bei dem damaligen Pastor Thomas emer., sodann, da er ja für den Webstuhl nicht mehr gebraucht wurde, in Enders am Karaman bei Schulmeister Alexander Batz. So unregelmäßig und unpraktisch die Vorbereitung für das Schulmeisteramt hier wegen vieler Arbeit im Tabakbau – auch nur sein konnte, der junge Kandidat erwarb doch genügend Kenntnisse in der deutschen Sprache und der Religion. Der fleißige Schüler bewährte sich hier wiederum, und auch hier ließ er seine Mitschüler weit hinter sich. Nur in Musik und Gesang fehlte ihm noch manches. Doch auch dies erwarb er sich nachdem er nach 1 ½ jähriger Lehre wieder nach Jagodnaja Poljana zurückgekehrt war, bei einem fixen Musiker. In Kromms Abwesenheit war Pastor Hegele gestorben und sein Nachfolger wurde Pastor Dsirne, der das Gegenteil seines ernsten und frommen Vorgängers war, fröhliche Gesellschaft liebte und für Pferde, Kühe und vergl. Mehr schwärmte als für das geistliche Amt. Als gleichzeitig tüchtiger Pädagoge erkannte Dsirne den Wert des jungen Johann Georg, der auch eine kräftige Stimme hatte und trotz seines kurzen Musikunterrichts unvergleichlich die Orgel zu spielen verstand. Nach kurzer Führung des Schulmeisteramtes in Vertretung zu Pobotschnaja machte Kromm im Herbst 1864 in Norka sein Schulmeisterexamen. 1865 erhielt er eine feste Anstellung in Neu-Straub. Im selben Jahr verheiratete er sich mit Maria Nagler, deren Vater, ein Reichsdeutscher aus dem Preußischen, in Jagadnaja Poljana lebte und mit dessen Kindern Kromm von jung auf Freundschaft gehalten hatte. Sieben Jahre hat Kromm mit seiner Frau in Freud und Leid in Straub verlebt, er in Schule und Kirche ungemein fleißig und gewissenhaft, sie ebenso in der Wirtschaft. Pastor Dsirne, nach seinen eigenen Worten ein Schultyran, war recht zufrieden mit ihm und schätzte ihn als besten Arbeiter in seinen Kirchspiel, die Gemeinde aber war 5 Jahre lang unzufrieden. Sie hätte lieber einen Menschen mit viel Weltmiß gesehen, als einen, der ernst war, zurückgezogen lebte und ihr keinen, aber auch gar keinen Spaß zu machen verstand. Erst in den letzten zwei Jahren achtete man ihn mehr wegen der Einführung des kirchlichen Chorgesanges und nur ungern sah man ihn zuletzt scheiden. 1872 übernahm Kromm die Schulmeisterstelle in Pobotschnaja. Hier hätte er ein ruhigeres Leben führen können, da die Gemeinde mit ihm zufrieden war, doch hetzte hier sein Gehilfe, der vorher schon 5 Jahre da als Stellvertreter gedient hatte, gegen ihn, da er gern selbst Schulmeister geworden wäre. Besonders nach Dsirnes Weggang wurde er auffällig und Kromm wurde dann in seinen Heimatdorfe zum Schulmeister gewählt. Wohl an 35 Jahre bediente er dieses große Dorf. Seine aufopfernde Arbeit ist von allen anerkannt worden. Seine Schule zählte 1000 Kinder, seine Gehilfen waren oftmals schwache Lehrer, er bereitete jährlich etwa 200 Konfirmanden mehr vor als der Pastor, jährlich wurden ca. 500 Neugeborene getauft, mussten 400 Tote beerdigt werden. Die Bücher führte er pünktlich und sauber, an den Winterabenden hielt er Singschule ab: amtierte bei Trauengen und war allen Helfer und Ratgeber.

Nach 45 jährigem Dienste legte er sein Amt nieder, um seine übrigen Tage in Ruhe zu verbringen. Doch in Stahl, wo er seinem Sohn Emanuel, einem Schulmeister, lebte, übertrug Pastor Erbes ihm den Religionsunterricht in einer Amtsschule, dazu war er seit 1914 Stellvertreter seines einberufenen Sohnes. Mit Ausbruch der Hungersnot 1921 zog er nach Jagodnaja Poljana zu seinem dort als Schulmeister tätigen Sohne Theophil, um nicht dem Hunger preisgegeben zu sein. Aber die Gemeinde bestand darauf, dass er sich in ihrer Mitte betätige, und zwar als zweiter Schulmeister. Noch zwei Jahre hat er hier sein Amt versehen, die Rüstigkeit aber war dahin, er war ein Greis geworden, die vielen Schicksalsschläge hatte seine eiserne Gesundheit untergraben. Nach einem Schlaganfall am 28 November starb er am 11 Dezember 1922 im Alter von 78 Jahren. Sein Leben ist segensreich gewesen, bis zum letzten Tage war er Schulmeister mit Leib und Seele. Mit ihm ging einer der besten Vertreter des alten wolgadeutschen Schulmeisterschlags ins Grab. Ein gutes Teil seiner Kräfte ist durch Intrigen, Hetzereien, Verleumdungen seiner Mißgönner, deren auch er einige besaß, aufgezehrt worden. Denn der Verstorbene war als Mensch außerhalb seines Amtes unerfahren und unveränderlich naiv. Er traute und vertraute jedermann, trotz seiner vielen üblen Erfahrungen. Er wurde vielfach betrogen und hintergegangen und blieb zu eigenem Schaden immer wieder der Vertrauensselige.

J. K.


Nachschrift. J. G. Kromm war einer der gebildetsten, strebsamsten und tüchtigsten Schulmeister auf Berg- und Wiesenseite und als solche bekundete er ein stetiges Interesse für das Volksleben. Dies und die direkte Fühlung mit deutschen Mutterlande durch seine Frau veranlasste ihn, nach der Stammesheimat seines Geburtsortes Jagodnaja Poljana zu forschen. Nachdem er festgestellt hatte, dass dies der Kreis Schotten im Oberhessen ist, veröffentlichte er im Schottener Kreisblatt eine Abhandlung über den derzeitigen Stand der Mundart seines Dorfes. Diese Arbeit wurde in der amerikanischen und wolgadeutschen Presse nachgedruckt und besprochen und war die erste Anregung zur Erforschung der wolgadeutschen Mundarten. Sie dient als Ausganspunkt für die Forschungsarbeit. Auf diese Weise hat er seinen Namen auch in der Geschichte seines Volkes verewigt. Auch hat er lesenswerte Erinnerungen über seine Begegnungen und Erlebnisse niedergeschrieben, zu denen ich ihn, den Allzubescheidenen, fast zwingen musste. Hoffentlich werden sie einmal in Buchform erscheinen können und ihm ein weiteres rühmliches Gedenkblatt stiften.

P. S.


Der Wolgadeutsche, Berlin, 1923, Nr. 9, 1. Beilage, S. 1-2.