Das Schaffen der Lebenden.
Karl Petrowitsch Dorsch.
Wohl niemand hat sich um die Hebung des wolgadeutschen Lehrerstandes so verdient gemacht wie Karl Petrowitsch Dorsch, der langjährige Leiter der Zentralschule in Grimm. Aber auch Geistliche, Schulmeister und Kolonie- und Kreisschreiber sowie Vertreter zahlreicher anderer Berufsarten verdanken ihm ihre Zentralschulbildung. Es möge insgesamt wohl an 800 Männer sein, die er in Grimm erzogen hat und die nun, zerstreut in alle Welt, mit tätig sind an der kulturellen Hebung ihrer Umgebung. Eine Anzahl von ihnen ist in die kleine Reihe der geistigen Führer des Wolgadeutschtums vorgerückt, und alle gedenken des klugen und guten großen Lehrers in Dankbarkeit und Ehrfurcht. Einen Zöglingen brachte er in den 38 Jahren, die er an der Grimmer Zentralschule tätig ist, folgende Vaterliebe entgegen. Hat einen von ihnen in seinem späteren Leben einmal daneben gehauen oder ist im Unkraut gar mißraten, so ging Karl Petrowitsch mit doppeltem Eifer an die Ausbildung und Erziehung der neuen Jungen. Seine Gewissenhaftigkeit ließ ihm keine Ruhe: Vielleicht, daß der Fehler bei ihm, dem Lehrer und Erzieher, zu suchen war. Und so korrigierte er sich mit jedem nachfolgenden Schüler selbst.
Karl Petrowitsch Dorsch
Zu Anfang dieses Jahrhunderts
Eine neuere Aufnahme lag uns nicht vor
Die Arbeit für die Hebung des Lehrerstandes, mehr qualitativ als nur zahlenmäßig, und die Fürsorge um die allgemeine Volksbildung sind ihm nicht bloßer Beruf, sie sind ihm zuerst und vor allem Herzenssache. Er kann sich um das Mißlingen einer Kulturarbeit endlos grämen, kann krank werden über die Knebelung der Schule, wie er sie in seinen 40 Dienstjahren zahllosemal beobachten mußte. Aber Karl Petrowitsch war immer in den vorderen Reihen, wenn Geknicktes wieder aufgerichtet und Neues gebaut werden sollte. Weniger Kämpfer als zäher Arbeiter, allzeit friedfertig, innen und außen von höchster Einfachheit, seiner Verantwortung in tiefem Ernst bewußt, aber auch versehen mit goldenem Humor – so stellt „unser Karl Petrowitsch“ — wer kennt ihn nicht? — eine hochwertige Kulturkraft und einen lieben Menschen dar. Über alles erhebt sich in seiner lichten Seelen, in seinem intelligenten, heute schon grauen Haupt die starke heiße Liebe zum Volk und zur Kulturarbeit für uns alle, sein Sehnen nach Ausgleichung der kulturellen Unebenheiten, sein Erfassen der geistigen Notdurft unseres Volkes und seine Arbeit. Wie wir unter unseren geistigen Führern extreme, hier kampfluftige, da diplomatisierende Charaktere haben, so ist Karl Petrowitsch extrem duldsam, ist füll und trägt seine Ideale weniger auf der Junge, trägt sie sozusagen nicht sonntäglich vor sich her, sondern birgt sie in sich als geliebte Kleinodien und läßt sie im Alltag in jedem Augenblick rein und sein leuchten. So erweckt er, besonders in den letzten Jahren, mitunter den Eindruck eines Dulders, eines Märtyrers unserer Volksbildung.
Diese Jahre seit 1914, die uns so vieler geistiger und materieller Güter beraubt haben, die nichts anderes waren als ein ununterbrochenes Hin- und Herzerren und brutales Unterdrücken, sie haben auch den Zähesten, Stillsten und Erfolgreichsten unter den Bildungsfreunden müde gemacht. „Ich sehne mich nach Ruhe“, schrieb er unlängst seinem Sohn Konstantin nach Deutschland und meinte damit nicht zuletzt die Grabesruhe. Es ist ihm viel zugemutet worden und er hat in den langen Jahren seines Wirkens nicht wenig ausstehen müssen. Während der Kriegszeit noch versuchten Neider ihn von seinem Posten zu verdrängen. Karl Petrowitsch besitzt zahlreiche Auszeichnungen der russischen Zarenregierung bis zum St. Annenorden einschließlich, der 1735 in Rußland gestiftet wurde zur „Aufmunterung aller Tugenden“ und verliehen wurde „denen, die Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Treue“ lieben („Amantibus Justitiam, Pietatem, Fidem“). Der Orden machte Karl Petrowitsch zum persönlichen Ehrenbürger.
Karl Dorsch wurde am 22. März 1862 in Holstein als Sohn eines Kolonieschreibers geboren. Seine Bildung hat er in der Realschule zu Kamyschin genossen. Nach kurzer Tätigkeit als Lehrer in Warenburg, wo er sich mit der Kaufmannstochter Amalie Müller verheiratete, wurde er um 1885 Lehrer an der Zentralschule in Grimm. Schon nach vier Jahren erhielt er den Posten als Leiter der Schule, an der er seitdem ununterbrochen tätig ist. Von seinen 3 Kindern ist Waldemar als Ingenieur in Polen tätig, sein Sohn Konstantin ist Student der Elektrotechnik in Hannover in Deutschland, und seine Tochter Erika hat im vorigen Winter mit einem Sohn (Alexander) des 1922 allzufrüh verstorbenen bekannten Schulmeisters Reuß in Balzer verheiratet. Die Vorfahren der Familie Dorsch stammen aus Hessen (Nähe Wörrishofen). Deutschland hat Karl Petrowitsch zweimal zu Kurzwecken besucht.
Die Zentralschule in Grimm
an der Karl Petrowitsch Dorsch seit 1885 als Leiter tätig ist
Der Wolgadeutsche, Berlin, 1923, Nr. 18, 1. Beilage, S. 2.