Geschichte der Wolgadeutschen
Приложение к статье: Гютляйн (Гютлейн, Гитлейн) Иосиф Яковлевич

Korrespondenz aus Herzog (Gouv. Samara, Dekanat Katharinenstadt)

Herr Pfarrer Gütlein von Rohleder, zu der die Kolonie Herzog eine Filiale ist, war im Herbste dieses Jahres auf anderthalb Monate verreist und kehrte Mitte Oktober in seine Pfarrei zurück. Als der Dorfschulze von der Filiale Herzog Nikolaus Dreiling erfuhr, dass ihr Seelsorger da sei, machte er sich sogleich auf den Weg nach Rohleder und bat dort den Pfarrer, des andern Tages doch bestimmt zu ihnen zu kommen. Da nun der nächste Tag Freitag war, und an Freitagen der Gottesdienst in der Regel in der Filiale abgehalten wird, so versprach der Geistliche, sicher zu kommen. Kaum hatte er am anderen Tage morgens das Dorf hinter sich, als er zu seinem größten Erstaunen dreizehn Männer mit aufgeputzten Pferden sich entgegen reiten sah. Von ferne noch entblößten sie ihre Häupter und begrüßten ihn mit dem üblichen schönen Grüße: „Gelobt sei Jesus Christus!“ worauf sie ihrer Freude über die Ankunft des geliebten Seelsorgers durch mehrmaliges Schießen Ausdruck gaben. Während sie sich dem Dorfe näherten, hörten sie den Klang der Glocken. Vor dem Dorfe versammelte sich mit Kreuz und Fahnen die ganze Gemeinde, groß und klein. Man konnte es ihnen an den Gesichtern ablesen, wie froh sie alle waren, dass ihr Seelsorger endlich mal angekommen sei. Nachdem der Geistliche ihnen den Segen gespendet hatte, kamen der Dorfschulze und der Sotnik, hoben ihn aus dem Wagen und führten ihn unter dem Klange der Glocken und dem Gesange: „Großer Gott, wir loben dich!“ in die Kapelle hinein. Fast alle weinten bei dieser Gelegenheit Tränen der Freude, auch der Pfarrer musste seinem Gefühle freien Lauf lassen, und man sah helle Tropfen von seinem Gesichte herabrollen. Nach der h. Messe stattete er ihnen für die ihm bezeugte Liebe seinen herzlichen Dank ab und bat sie, für ihn zu beten, wobei er auf den hl. Paulus hinwies, der doch ein Heiliger war und sich dennoch dem Gebete der Gläubigen empfahl, umso mehr bedürfe er des Gebetes seiner Pfarrkinder. Ganz besonders sollen sie aber für die verlorenen Schafe beten, die ihren österlichen Pflichten nicht nachkommen. Ferner sollen die den lieben Gott bitten, dass sie miteinander hier und im Himmel vereint bleiben. Nach diesen paar Worten ließ er sich im Betstuhle von dem Allerheiligsten nieder und zerfloss in Tränen. Der Schulmeister wollte ein Vater unser beten, doch er verstummelte bald, und ein allgemeines Schluchzen war in der Kirche vernehmbar. Es war ein rührender Anblick, den zu beschreiben man gar nicht im Stande ist. Auch die Rohleder hätten ihrem lieben Pfarrer einen eben solchen Empfang bereitet, wenn ihnen der Tag der Ankunft bekannt gewesen wäre, doch leider war er ihnen verborgen. Außerdem ist der Pfarrer, um kein Aufsehen zu erregen, eine stille Nebenstraße gefahren und nicht die gewöhnliche belebte, so dass die Leute von seiner Ankunft erst dann erfuhren, als er schon in seinem Pastorate war.


Klemens, Nr. 10 vom 3. Dezember 1897, S. 154-155.