Unser Augustheft wollen wir nicht ausgehen lassen, ohne eines lieben Mitarbeiters, des Pastors C. E. Wahlberg weil, in Gnadenflur, dessen Hintritt vor Jahresschrift erfolgte, zu gedenken. Trotz besonderer Bemühungen ist es uns leider nicht gelungen, Material zu einem ausführlichen Lebenslauf des Dahingeschiedenen oder die Abfassung eines solchen von einer näherstehenden Seite zu erlangen. So sind es nur kurze Notizen, die wir bringen können, denen wir das Porträt des Verewigten beilegen.
Carl Erich Wahlberg wurde am 17. Juni 1825 zu Katharinenstadt als Sohn des Pastors Carl. Fr. Wahlberg geboren. Der lernbegierige und anspruchslose 19-jährige Jüngling bezog im Jahre 1844 die Kaiserliche Alexander-Universität zu Helsingfors in Finnland, um daselbst Philosophie zu studieren. Verschiedene Umstände nötigten ihn, im darauffolgenden Jahre 1845 sein Studium abzubrechen, das er erst nach drei Jahren wieder aufnehmen konnte. Vom Jahre 1848 an konnte er ohne Störung mit allem Eifer sein Studium fortsetzen und erwarb im Jahre 1851, am 13. Juni, den Kandidatengrad der Philosophie. Sein Studium der Philosophie trieb ihn aber immer mehr und mehr zum Studium der Theologie und so sehen wir ihn vom September 1857 bis Dezember 1858 wieder an derselben Universität dem Studium der Theologie obliegen. Am Trinitatissonntage 1861 (18. Juni) wurde er zu Katharinenstadt als Pastor-Adjunkt seines Vaters ordiniert und introduziert, in welcher Stellung er nur ein Jahr verblieb, da er nach Gnadenflur gewählt wurde, welche Wahl er auch annahm. Am 15. Juli 1862 (VI. p. Trinit.) fand seine feierliche Introduktion als Pastor des Evangelisch-Lutherischen Kirchspiels Gnadenflur statt – welcher Gemeinde er bis an sein Ende seine Kräfte gewidmet hat.
Wie Wahlberg als Kandidat und als Adjunkt schlicht und einfach gewesen, so blieb er es auch als Pastor von Gnadenflur sein ganzes Leben hindurch. Aus dieser ungemachten und unbefangenen Schlichtheit, besonders aber aus seiner freundlichen und offenen Art sich zu geben und dann aus der unermüdlichen Arbeit ohne Seufzen und ohne Murren mußte seine Gemeinde den Ernst seines Amtes, die Lauterkeit und Wahrhaftigkeit seines Wesens herausfühlen, wobei natürlich auch seine Schwachheiten nicht verborgen bleiben konnten. Daher gewann er auch Herzen seiner Gemeindeglieder, die wiederum ihren Seelsorger von Jahr zu Jahr immer lieber gewannen, besonders aus dem Grunde, weil er in selten reichem Maße Teil nahm an ihren Leiden und Freuden. Er war ein Berater und Helfer der Armen und Verlassenen, die niemals ohne geistige und materielle Unterstützung sein Haus verließen. Die Wohltätigkeit hat er sehr fleißig und in weitgehendster Weise geübt, nicht bloß Einzelnen gegenüber, sondern auch den Gemeinden seines Kirchspiels und auch darüber hinaus. Da dem Kirchspiele die nötigen Mittel fehlten, ein Pastorat zu bauen, so hat er auf dasselbe verzichtet und wohnte auf seinem benachbarten Gute. Er hatte, was er bedurfte und da er mehr hatte, so kargte er nicht mit Unterstützung. An Enttäuschung hat es Wahlberg auch nicht gefehlt, da sein kindlich Gemüht dem einzelnen Menschen traute und Jeden so nahm, wie er eben genommen sein wollte, aber dabei fehlte ihm nicht ein köstlicher Takt und echte Weisheit zum richtigen Handeln.
Was Wahlberg seinen Gemeinden gepredigt, die Gnade Gottes in Christo Jesu, dem gekreuzigten und auferstandenen Heiland der Welt, hat er selbst persönlich in manchem dunkeln Thal des Leidens erringen müssen. Wie ans der Menschen Gedanken Gottes Gedanken und aus der Menschen Wege Gottes Wege werden können, hat er selbst an Herzen reichlich erfahren müssen. Der Herr hat ihn manchen tiefen Blick in sei eigenes Herz tun lassen und alle seine Erfahrungen, auch seine Schwächen, haben nur zur Verherrlichung seiner Gnade dienen müssen, als einer Kraft mächtig in der Schwachheit. Als ein begnadigter Sünder hatte er herzliches Erbarmen mit seinen Mitsündern, was sich besonders in dem überaus milden Urteil über seine Nebenmenschen zeigte.
Im Jahre 1876 ward ihm von Kaiserlicher Majestät „für ausgezeichnet eifrigen Dienst“ das am 25. Mai 1843 Allerhöchst gestiftete goldene Brustkreuz verliehen. Solange seine Gesundheit es ihm gestattete, blieb er Hirt seiner Gemeinde – 26 Jahre lang ist er der Seelsorger der Gnadenflurer Gemeinde gewesen; im Juli des Jahres 1888 war er krankheitshalber um Entlassung von seinem Amte eingekommen und es währte auch nur kurze Zeit, bis der Herr seinen Dienen zu sich rief, um ihm seinen Gnadenlohn zu geben für seine Arbeit auf den Gnadenfluren seines Weinberges, denn am Sonntag den 21. August desselben Jahres hat der Herr seinen Knecht aus des Tages Last und Hitze in Ruhe eingeführt. Die Liebe, die er in der Not erwiesen und die das Wort, das er verkündigte, begleitete, wird fort und fort in der Gemeinde den liebenden und geliebten Seelsorger im besten Andenken bewahren.
„An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd’, was Christus uns gegeben, das ist der Liebe wert.“ Der Jünger ist geschieden, der Meister ist geblieben!
Friedensboten auf Berg- und Wiesenseite der Wolga. Monatsschrift.
Nr. 1, 1889, S. 301-303.