Geschichte der Wolgadeutschen
Приложение к статье: Ридель Петр Петрович

Über die Primiz von Peter Riedel

Herzog, den 22. Mai 1903. Ein ganz ungewöhnliches Leben konnte man am 21. Mai in Herzog bemerken; denn blitzschnell hatte sich die Nachricht verbreitet: „Der neugeweihte Priester Peter Riedel ist gestern nach Rohleder gekommen und wird morgen in Herzog seine erste hl. Messe lesen.“ Aus dem Walde wurden Baumzweige geholt, um dieselben von dem Elternhause bis zur Kirche aufzupflanzen. Das Hoftor ward mit einem aus Gras gewundenen Triumphbogen geschmückt, auf dem zu lesen stand: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!“ Am Abende genannten Tages zog der hochw. Neopresbyter in Begleitung von mehreren Dreigespännen im Elternhause ein; denn den Tag hindurch hatte er bei P. Böchler still im Gebet und Betrachtung zugebracht. Am selben Abende kam auch der hochwürdigste Herr Rektor des Seminars, Prälat J. Kruschinsky, hierher. Der hochwürdigste Herr hatte keine angenehme Reise; denn es blitzte und donnerte und schlug zweimal bei ganz ungewöhnlich starkem Regen ein, so daß er nach seinem eigenen Ausdrucke bis auf die Knochen naß wurde. — Der 22. Mai, der so sehr ersehnte Tag, war angebrochen. Um 9 ½ Uhr kam die Prozession ins Elternhaus, um den Neomysten abzuholen. Der hochw. Herr Rektor hielt an denselben eine ergreifende Ansprache. „Magister adest et vocat te“. „Der Meister ist da und ruft dich.“ Joh. 11, 28. In kurzen kräftigen Zügen wies er den Neomysten auf den vierfachen Ruf hin, der Vom Herrn an den Priester ergeht. Der erste Ruf ergeht an ihn beim Eintritt ins Seminar, der zweite beim Entschlusse zum Priesterstande, der dritte zur Darbringung des ersten hochhl. Meßopfers und zum Beginn der Arbeit und der vierte und letzte am Abende seines Lebens, um den Lohn für seine Opfer zu empfangen.

Tief ergriffen folgte nun der Neopresbyter, mit dem Myrtenkränze geschmückt, der Prozession in die Kirche. Daselbst bestieg alsogleich der hochw. Herr P. Andreas Brungardt, „die priesterliche Erstlingsfrucht aus Herzog“, die Kanzel. Herzog sei zwar die kleinste unter ihren Mitschwestern am Karaman, so führte er aus, habe aber dennoch allen die Siegespalme abgerungen; denn schon betritt heute der fünfte Priester aus Herzog den Altar des Herrn. Seine Vorgänger sind: die hochw. Herren: P. And. Brungardt, P. Franz Rohleder, P. Franz Löwenbrück, P. Michael Brungardt. Mit gewaltigen Worten schilderte der Festprediger die Gefahren, Arbeiten, Ängsten, Freuden und Leiden des Priesters. Nach der Predigt begann das Levitenamt. Ein seltenes Schauspiel für Herzog! Mit großer Sammlung und Frömmigkeit las der Primiziant seine erste hl. Messe. Ach, was ist es doch Erhabenes um eine Primiz, und mit Recht rief einer der Anwesenden aus:

Des Schönen gibt es viel hienieden,
Ja, Wunderschönes ohne Zahl —
Das allerschönste, ganz entschieden,
Das sah ich heut zum erstenmal!

Sechzig Personen empfingen die hl. Kommunion, darunter alle Verwandten des Neopresbyters. Nach der hl. Messe erteilte er zuerst den anwesenden Priestern, dann seinen alten Eltern den Erstlingssegen. Es war rührend, wie sich die weichen Hände segnend auf das graue Haupt der Eltern legten. Nachdem er noch seinen übrigen Verwandten den Segen einzeln erteilt hatte, bestieg er die Kanzel und spendete von da aus den übrigen Anwesenden den Primizsegen. Dann begabt er sich ins Elternhaus. Auf dem Wege trugen abwechselnd vier zu diesem Feste gekommenen Kleriker über dem Haupte des Hochwürdigen einen Kranz. Im Elternhause angekommen, beglückwünschte man den Primizianten. Bald darauf begann die Mahlzeit, bei der es recht gemütlich herging. Am Ende derselben erhob sich der hochw. Herr Rektor und sprach über das hohe Glück der Eltern eines solchen Sohnes. Die begeisterten Worte entzündeten: ein dreifach donnerndes „Hoch“ wurde den Eltern und deren hochw. Sohne gesungen. Da stand der also Beglückwünschte auf und dankte mit herzlichen Worten seinem Vorgesetzten für die liebevollen Wünsche, für die Güte, daß er unter keineswegs leichten Umständen zu seiner Primiz kam, für das gute Beispiel, das er ihm gegeben hat, besonders durch seine Frömmigkeit und seinen eisernen Fleiß. Oft, sagte er, sprachen die Kleriker des Seminars mit Bewunderung über diese zwei hervorragenden Tugenden des Pater Rektors. Er dankte mit Innigkeit dem abwesenden hochw. Hr. Inspektor des Seminars, P. J. Antonow, dem er soviel zu verdanken habe.

Mit Schmerz vermisse er eine Person, die ihm so teuer und der er zu tausend Dank verpflichtet sei, nämlich P. Becker.

Dann dankte er dem hochw. Dekan Georg Rißling, dem Pfarrer A. Brungardt und dem Pfarrv. Joh. Albert, daß sie nur ihrer Gegenwart die Feier beehrten; ebenfalls brächte er seinen Dank P. Böchler dar, der die Zurüstung zur Primizfeier leitete. Zuletzt dankte er allen Anwesenden für ihre gütige Teilnahme.

Zu guterletzt hielt P. Albert einen humorvollen und dennoch inhaltsreichen Toast, und die Tafel wurde aufgehoben. Unter gegenseitigen Glückwünschen und mit dem Bewußtsein, wieder einen der schönsten Tage verlebt zu haben, ging man auseinander.

Möge es mir gestattet sein, im Namen aller meiner Brüder unserem hochw. Hr. Kollegen ein aus dem tiefsten Grunde des Herzens kommendes „Ad multos annos!“ zuzurufen.

Clericus.


Klemens, Nr. 35 vom 28. Mai 1903, S. 275-276.